Meagre Martin - Gut Punch Vinyl
Meagre Martin - Gut Punch Vinyl
Die Realität fühlt sich heutzutage wirklich wie ein Schlag in die Magengrube an. Sie raubt einem augenblicklich den Atem und der Schmerz bleibt noch eine ganze Weile im Hintergrund, verblasst immer mehr, bis nur noch eine Erinnerung an den Schmerz übrig ist. Eine Erinnerung, die einen immer noch zusammenzucken lässt, wenn man nur an den Moment denkt, als sie einen traf und einen ausatmen ließ.
In ihrem Debütalbum „Gut Punch“ kreiert Meagre Martin einen Sound, der von Shoegaze, 90er-Indie oder „Faux Country“, wie die Band es nennt, inspiriert ist, und stellt diesen wunderbar leichten Klanglandschaften Texte gegenüber, die mit ihrer Verletzlichkeit und Tiefe die Süße des Klangs Lügen strafen. Die Texterin, Sängerin und Gitarristin Sarah Martin (sie/ihr) und ihre Bandkollegen Federico Corazzini (Schlagzeug, Technik, er/ihn) und Max Hirtz-Wolf (Bass, er/ihn) haben elf Tracks geschaffen, die wunderbar ineinander übergehen und Bilder von kalifornischen Wüsten und Berliner Kellern, von langen, nachdenklichen Gesprächen in der Dämmerung, von Tagen, die im Park zu Nächten werden, und Nächten, die im Studio wieder zu Tagen werden, heraufbeschwören. Sie beginnen mit dem verträumten, ätherischen „Intro“ und schließen mit dem völlig anderen, aber ebenso dunstigen „Outro“.
In den Texten beschäftigt sich Martin mit ihren Gefühlen gegenüber ihrem Heimatland, den USA, aber auch mit persönlichen Traumata, Heilung, der Klimakatastrophe und dem Massensterben. Letzteres allerdings mit einem ausgesprochen schwungvollen, lebensbejahenden Sound auf „The Big Death (TBD)“: „Ich will nicht sterben, es ist alles in Ordnung“, singt Martin, „die Bäume brennen und wir lernen nicht.“ Auf „Amerika“ reflektiert die Band ihr Herkunftsland aus der Perspektive von Insidern und Außenseitern zugleich: „Lobe den Herrn in Amerika, schütze deine eigenen Leute in Amerika, arbeite dich bis auf die Knochen in Amerika, dann machen wir weiter in Amerika“ – Texte, die lakonisch wirken, aber auch sehr dringlich und aktuell angesichts des Aufstiegs des religiösen Autoritarismus vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Martins direktes, ehrliches und wirklich authentisches Songwriting erhält durch die Produktion Form und Raum, sich in alle Richtungen auszudehnen, wobei ihre einzigartige Stimme die Zuhörer immer tiefer in die Welt hineinzieht, die das Trio gemeinsam geschaffen hat.
„Wir sind an das Album auf eine wirklich alte Art und Weise des Musikmachens herangegangen“, erklärt Corazzini, „es fühlte sich an wie eine Selbstbefragung als Band, wir drei zusammen.“ Da die Band durch Corazzinis Job als Studiotechniker Zugang zu den legendären Butterrama-Studios in Berlin hatte, hatte sie die Chance, sich Zeit zu nehmen, um einen einzigartigen Sound zu entwickeln, der gleichermaßen zeitgenössisch ist und dennoch mit einem Hauch goldener Nostalgie schimmert. Das Trio nahm fast alles live zusammen auf und nutzte die analoge Ausrüstung und Techniken, die das Studio bietet, und schuf Songs, die sich im besten Sinne bemerkenswert gelebt anfühlen. Es überrascht nicht, dass die junge Band (sie wurde erst im Februar 2022 zum Trio und ging im darauffolgenden Sommer sofort ins Studio) Künstler und Bands wie Big Thief, Snail Mail, Cate Le Bon und natürlich Fleetwood Mac and the Mystique zu ihren Inspirationen zählt.
Mit „Gut Punch“ veröffentlicht Meagre Martin ein bemerkenswertes Debüt, das sich vertraut wie ein guter alter Freund und gleichzeitig frisch anfühlt. Der satte Sound bildet die ideale Grundlage für die Geschichten, die Sarah Martin, Federico Corazzini und Max Hirtz-Wolf erzählen möchten. „Gut Punch“ schlägt eine Brücke zwischen Indie-Sentimentalität und zeitgenössischen Themen und ist eine Platte, die sowohl zeitgemäß als auch zeitlos ist und Meagre Martin als eine der nachdenklichsten, menschlichsten und aufregendsten Bands der zeitgenössischen Indie-Sphäre vorstellt. Und ich für meinen Teil kann es kaum erwarten, was noch alles kommt.